Nazis! Kommunisten! Kannibalen!
[Chemnitz] Schwule und lesbische Polizisten haben es nicht leicht. Schon gar nicht die im Osten, wie die größte ostdeutsche Zeitung, die “Freie Presse” aus Chemnitz, im letzten Jahr mit Hilfe eines kompetenten Verfolgten zu berichten wusste. Zwar ist richtig, dass der “Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter in Deutschland” (VelsPol), der seinen letzten Bundeskongress im sächsischen Leipzig abhielt,
zumindest in den drei mitteldeutschen Bundesländern keine Mitglieder hat und sich dort deshalb nur schwer für queere Mobbing-Opfer einsetzen kann. Und “Mobbing gegen Schwule und Lesben” käme in den Reihen der Polizei häufig vor, ließ die Zeitung den Bundesvorsitzenden von VelsPol, Thomas Ulmer, erklären. Was aber wiederum schmerzhaft die Begründung seines offensichtlichen Bauchgefühls vermissen ließ, wenn er gar keine Leute vor Ort hat. Auch wirkten seine weiteren Thesen mitunter reichlich dick aufgetragen. So wurde Ulmer mit den Worten zitiert, dass es in der Polizei “nach wie vor einen homophoben Korpsgeist” gebe. Und jetzt kam er erst so richtig in Fahrt, wähnte sich plötzlich von Nazis und Kommunisten umzingelt: “In den westdeutschen Ländern herrsche oftmals noch der schwulenfeindliche Geist der 1960er und 70er Jahre vor, im Osten verhindere die Tradition der Volkspolizei, die keine Homosexuellen geduldet habe, eine weitergehende Gleichstellung. In den ostdeutschen Bundesländern komme die oftmals verbreitete nationalistische oder rechtsradikale Einstellung vieler Menschen hinzu”, musste der Leser entsetzt der Erkenntnis des VelsPol-Vorsitzenden ins Auge des Gesetzes blicken, in dessen Aufzählung polizeilichen Fehlverhaltens eigentlich nur noch Kannibalismus, Teufelsanbetung und Justin Bieber fehlten. Doch glaubt er ernsthaft, in der West-Polizei hätte es 50 Jahre lang keinen Fortschritt im Denken und Umgang gegeben und der Osten hinge geistig immer noch in der DDR oder gar im Dritten Reich fest? Warum sollte sich eine angeblich “nationalistisch-rechtsextreme” ostdeutsche Polizei ausgerechnet in der Tradition der DDR-Volkspolizei sehen statt in Pumps und Fummel lieber gleich auf SA-Chef Röhms Schwulen-Kombo zu schielen? Können Beamte, die bereits in den 1960ern ungestört mobbten, ihre Propaganda tatsächlich noch aus dem Ruhestand oder gar aus dem Grab heraus wehrlosen Jungpolizisten des 21. Jahrhunderts aufzwingen? Es könnte doch sein, dass heutige Homohasser-Cops vielleicht aus religiösen Gründen hassen, selber Klemmschwestern sind, sich weder in der Schule noch in der Ausbildung je mit dem Thema Homosexualität ernsthaft auseinander zu setzen hatten. Dass homophobe Vorurteile vielleicht vor allem deshalb existieren, weil nur Leute Witze über Schwule machen, die selber keine in ihrem Freundeskreis zu kennen glauben, weil sie 99 Prozent von ihnen nunmal nicht erkennen, solange sie nur eine reine Klischee-Vorstellung von ihnen haben. Dabei sind wir doch überall … Hier werden monströse und geradezu menschenverachtende Wahnsinns-Theorien aufgebaut, Herr Ulmer, wo die einzige Forderung aber nur schlicht lauten muss: Gebt der Polizei und auch allen anderen Menschen auf der Welt Sexualkundeunterricht, Diversity-Programme und Kompetenz-Kurse zum aufgeklärten Umgang mit sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten! Punkt. (- und nicht Hakenkreuz.) *Martin Bach
Monday, 11. July 2011 Schwule und lesbische Polizist_innen in Deutschland von Gleichstellung noch weit entfernt
Besonders in den östlichen Bundesländern Deutschlands sind schwule Polizisten und lesbische Polizistinnen von Gleichstellung noch weit entfernt. Bundesweites Schlusslicht ist Sachsen, wo die Politik so gut wie nichts zur beamtentrechtlichen Gleichstellung der homosexueller Kolleg_innen tut, wie Thomas Ulmer, der Bundesvorsitzende des Verbandes lesbischer und schwuler Polizeibediensteter in Deutschland (VelsPol) am Rande des in Leipzig stattfindenden Verbandstages 2011 sagte. So bekommen schwule und lesbische Polizeibedienstete die in eingetragener Lebenspartnerschaft leben in Sachsen keine Familienzulage. Im Todesfall wird der Partner oder die Partnerin pensionsrechtlich nicht bedacht. Auch Thüringen und Sachsen-Anhalt hinken in der Entwicklung hinterher. Das zeigt sich unter anderem daran, dass die VelsPol in keinem der drei Bundesländer offiziell Mitglieder hat. Einen homophoben Korpsgeist ortet Ulmer bei der Polizei allerdings in ganz Deutschland: im Westen herrsche hier oftmals noch der schwulenfeindliche Geist der 1960er und 70er Jahre vor, im Osten verhindere die Tradition der Volkspolizei, die keine Homosexuellen geduldet habe, eine Gleichstellung.
Ulmer wünscht sich von der Politik mehr Rückhalt, einen schwulen Außenminister zu haben, reiche nicht aus. Wie wenig die Gleichstellung in den Köpfen angekommen ist, zeigt auch die Zeitungsberichterstalltung. So titelt die Mitteldeutsche Zeitung angesichts konkreter beamtenrechtlicher Benachteiligung "Schwule Polizisten fühlen sich im Osten benachteiligt" und in den rechten "Kompakt-Nachrichten" fühlt sich ein namentlich nicht genannter Journalist durch die Meldung, dass VelsPol im Osten keine Mitglieder hat, zu einem Witz übers Bücken bei der Suche nach dem Pannendreieck animiert. Ein kleiner Lichtblick am Rande: In Leipzig wurden die Teilnehmer_innen des VelsPol Bundesseminars im Rathaus empfangen. Zum ersten Mal in der Geschichte des seit 1994 bestehenden Verbandes.
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 7. Juli 2011