Out of Friesack
Marik weist aus dem Fenster zur Backsteinschule rüber. Seine dunklen Augen und Haare bleiben unterm schwarzen Basecap fast verborgen. Neulich hätten ein paar Teenies „Ihr seid schwul“ an die Haltestelle gesprüht. Das galt Thomas und ihm, glaubt er. „Ist ja ’ne Feststellung, keine Beleidigung.“ Sollten sie es anders gemeint haben – ihr Problem. Marik kennt mit seinen 20 Jahren das Getue der Kleinstadt. Hier, in Wusterhausen/Dosse im Nordwesten Brandenburgs, wisse er, woran er ist. „Ich habe in den Nestern hier noch nie so miese Anmachen erlebt wie manchmal schon in Berlin, so mit ’Alte Schwuchtel!’ und einem Guss Wasser im Nacken“, erzählt er. Ins Klischee will das nicht passen. Aber er weiß, dass es auch hier
draußen anders sein kann. „In der Kleinstadt, da wirst du gemocht oder runtergemacht.“ Als ziemlich selbstbewusster Typ mit Charme und Ideen gehörte er immer zu den ersteren. Widerstand zwecklos. Nach dem Abi 2009 räumt Marik derzeit Regale im Supermarkt ein und ordnet seine Lebenspläne. Mediengestalter, das wäre sein Ding. Er sucht einen Studienplatz. Seit über einem Jahr leben Marik und sein Freund bei Thomas’ Vater und Mutter. Die Treppen hinauf, in ihrer eigenen Bude unterm Dach. Fast vier Jahre sind sie schon zusammen. Als Marik zehn war, zogen seine Eltern aus Berlin-Spandau mit ihren beiden Söhnen hinaus aufs Land. Nach Fliederhorst, einer Handvoll Häuser hinterm Städtchen Friesack. Pferdegetrappel statt S-Bahn-Rattern. Doch Marik gewöhnte sich dran, auch als er bald zum Gymnasium nach Kyritz pendelte. Er fand neue Freunde – und vor allem seine „drei besten Freundinnen“, die immer und für alles da waren. „So mit zwölf dachte ich erstmals, dass ich wohl schwul bin“. Bedroht habe ihn das nicht. Drei Jahre später verliebte sich Marik in seinen engsten Kumpel und outete sich, anders als dieser. Vor seinen Freunden, zu Hause und in der Schule. „Das mit dem Coming-out an der Schule war leicht für mich“, blickt er zurück. „Ich kannte alle, alle kannten mich. Ich hatte meinen Stand und es galt dann halt. Zwei Tage war es Thema, dann war die nächste neue Frisur wieder wichtiger.“ Vielleicht haben manche ihre wirkliche Meinung versteckt. Andere haben ihm Brücken gebaut: Seine Französischlehrerin bot ihm beim Thema Familie an, was über homosexuelle „Regenbogenfamilien“ vorzubereiten. Das bleibt bis heute ein Thema für ihn. „Mann, ich wollte schon mit vierzehn gern Vater sein“, erzählt Marik von seiner Sehnsucht nach Kindern. Adoptionsrecht für schwule Männer oder eigene Kinder in homosexuellen Familienmodellen – das sind Dinge, die Marik mit dem Blick in seine Zukunft stark bewegen. Das mit dem unwissenden, abgenabelten Landei sei übrigens ein Vorurteil, stellt er klar. Dem Internet sei Dank. Jede Menge Seiten und Portale können Aufwachsenden weiterhelfen bei der Suche nach dem eigenen Standort auf der sexuellen Landkarte. Vielleicht auch nur, um rauszufinden, was man nicht will. Marik war damals dankbar für DBNA (Du bist nicht allein) und erste Einblicke bei gayromeo: „Ich sah, dass es all die anderen gibt, für die es normal ist, schwul zu sein, und die so leben.“ Er wünscht sich eine Art SchülerVZ für schwule Jungs. Bilderchen und Kontakte, das zähle erst einmal. Portale wie gaybrandenburg.de seien zwar zur Aufklärung gut, doch für Teenies in der „Selbstfindungsphase“ bisher viel zu textlastig. Auch im alltäglichen Leben sieht Marik das weite Land nicht als homosexuelle Brache. „Allein in Friesack kenne ich mehrere schwule und lesbische Pärchen, die teils auch offen leben!“ Den Gegenpol dazu böten die „ach so harten Jungs“ vom technik-orientierten Oberstufenzentrum und der „Fußballkult“ im Ort. Und wenn man dann noch den Fußballtrainer im eigenen Haus hat! Zu Mariks Coming-out sagte sein Vater einst: „Es muss ja nicht gleich der ganze Ort wissen.“ Einen Monat später aber kam er mit einem Sixpack Bier zum „Gespräch unter Männern“. Und darüber fand er seinen Weg, offen mit dem Schwulsein seines jüngeren Sohnes umzugehen. Marik war damals gar nicht so harmoniebedürftig: „Wir waren Punks und eh in der Anti-Eltern-Zeit.“ Vor zwei Jahren, zur großen Party zum 40., hat Mariks Vater ihn und seinen Freund dann bewusst als Paar eingeladen und vorgestellt. Auch vor dem ganzen Fußballertrupp. „Meine Eltern mögen Thomas total und meine Mutter kriegt gleich Panik, wenn ich mal ohne ihn komme.“ Mit dem ein Jahr älteren Thomas hat Marik seine erste richtig offene Beziehung. Getroffen haben sie sich in der kleinen Kyritzer Punk-Szene, als Thomas noch mit seiner Freundin zusammen war. „Er sagt, er habe sich in mich als Menschen verliebt, nicht als Mann.“ Dass das Schwulsein hieß, wurde ihm dann auch klar. Und er blieb dabei. Vor Thomas gab es für Marik drei ganz andere Jahre mit dem ewigen Versteckspiel seines früheren Geliebten. Immer wieder Treffen, etwas Nähe, Sex. Doch keine Chance auf gemeinsames Leben. Diese Geschichte wirkte nach. In Gefühlen, Gedanken, Worten und Bildern. Spuren davon hat Marik schon während der Beziehung aufgeschrieben, fiktiv überhöht und verfremdet, und später noch einmal abgewandelt als Manga-Comic aufgezeichnet. Den Text gibt es als Buch zu kaufen, den Comic als Wanderausstellung „Coming-out in Dallow“ zu sehen. Hier ist ein Profi am Werk. „Schreiben, schreiben, schreiben – das ist mein Ventil für alles.“, sagt Marik, immer am Vibrieren, und zeigt seinen Blog im Internet. Dort lebt er einen Teil seiner Hobbies und seiner Identität aus. Dazu zählt eine online-Community mit anderen Fans japanischer Animationsfilme. Oder sein Auftritt als Synchronsprecher. Erst neulich haben sie ihn für ein Kinderhörspiel engagiert. Jenseits des Rechners macht Marik Improvisationstheater. Und er tanzt, seit Jahren und von Standard bis Hip-Hop alles. Oft einziger Junge in den Choreographien? Das ist er gewohnt. Er tanzt durch sein Leben, wie er es will.