Brandenburg, wo sind die Ärzte?
Am 21. November 2012 fand die Fachtagung Brandenburg gemeinsam gegen Aids statt. Verschiedene Akteure diskutierten die Rechenschaftsberichte der einzelnen Arbeitsgemeinschaften und gaben Empfehlungen für die Gesundheitsziele für das nächste Jahr. Der Blogger immunantwort kommentiert diese Tagung aus seiner Sicht für die Tabulose Rundschau.
(gayBrandenburg-Tabulose Rundschau) Einmal im Jahr laden das Gesundheitsministerium des Landes Brandenburg und die "Aids-Hilfe" Potsdam zur Fachtagung der "Initiative Brandenburg – Gemeinsam gegen Aids". So auch am 21. November - zu der dieser Blogger und ziemlich offene Positive übrigens keine persönliche Einladung erhielt und trotzdem teilnahm - dank guter Netzwerke. Doch das ist nur eine Lappalie.
Das Hauptproblem der Brandenburger Positiven wurde auch in diesem Jahr kaum besprochen, wie generell positive Probleme auf dieser Veranstaltung allenfalls durch Vorträge von externen Gästen aufgegriffen werden. Ansonsten fokussiert man sich stark auf Rechenschaftsberichte und Prävention. Böse Zungen würden meinen, dass ein Positiver auf dieser Tagung sowieso nicht gern gesehen ist, da er das personifizierte Scheitern der Präventionsbemühungen der versammelten Akteure darstellt. Böse Zungen.
Das Hauptproblem für Positive im Land Brandenburg ist die fehlende ärztliche Versorgung. Es gibt eine (in Zahlen: 1) positive ärztliche Versorgungsstelle im und für das gesamte Land. Und hierbei handelt es sich ausgerechnet um die Ambulanz für Infektions- und Tropenkrankheiten des städtischen Klinikums "Ernst von Bergmann" in Potsdam. HIV neben Malaria. Wer seine HIV-spezifischen Wehwehchen behandelt haben möchte, muss im Land Brandenburg ins Krankenhaus. Ganz so, als ob sich seit der Hochphase des Aids-Sterbens nichts verändert hätte.
Es gab andere Zeiten in Brandenburg: Zumindest in Frankfurt/Oder und Cottbus existierten Arztpraxen, die HIV-positive Patienten mit ihren speziellen Anforderungen versorgen konnten. Diese Praxen mussten, wie viele andere im Land, wegen des hohen Alters der behandelnden Ärzte und der fehlenden Nachfolger schließen. Sicherlich, dies ist kein brandenburgspezifisches Problem. Es blieb die Krankenhaus-Ambulanz in Potsdam. Und auch hier kündigt sich eine tief greifende Veränderung an, denn der langjährige führende Facharzt der Ambulanz geht - in den Ruhestand. Seine Stellvertreterin wird die Stelle wohl übernehmen. Sie hielt bereits auf der letztjährigen Fachtagung einen interessanten Vortrag, bei dem sie auch eine ungewöhnlich hohe Zahl an Patienten nennen musste, die mit einem fortgeschrittenen Krankheitsbild "Aids" in die Klinik eingeliefert wurden; "Late Presenter". Man sollte meinen, in Zeiten von nahezu nebenwirkungsfreien und einfach zu befolgenden Therapien ist sowas unmöglich.
Zumindest in und um Potsdam scheint eine ärztliche Versorgung halbwegs gesichert - wenn auch mit dem fahlen Beigeschmack dafür ins Krankenhaus gehen zu müssen. Ich tue mir das nicht an, 138 Positive tun es. Eine legitime Entscheidung. Bleibt aber immer noch fast ein ganzes Bundesland unversorgt. Was machen die Positiven in Cottbus, in Wittenberge, in Belzig? Sie fahren (so sie können) - nach Berlin, nach Dresden, je nachdem was näher dran ist. So wie ich. Mein Arzt sitzt in Berlin-Friedrichshain. Eine typische Berliner Schwerpunktpraxis, allerdings auch mit einigem Renommee. Dort nehme ich derzeit an einer Medikamentenstudie für die Zulassung einer weiteren HIV-Wirkstoff-Klasse teil. Mir geht es mit dieser Therapie übrigens ziemlich gut. Die Studie erfordert monatliche Blutkontrollen.
Mich lässt eine Erkältung nicht mehr los, ich habe merkwürdige Hautprobleme, die Psyche rebelliert - jedes Mal geht ein halber Tag für einen Arztbesuch drauf. Und ich bin übrigens nicht der einzige Brandenburger in meiner Praxis. Für einige Cottbusser ist mein Arzt der Nächstgelegene. Nimmt man den RE2 als Richtschnur, bedeutet das 1:24h - allein für die Hinfahrt! Erschreckend schlüssig erscheint die Situation, wenn heutzutage in den Brandenburger Krankenhäusern Patienten mit dem vollen Krankheitsbild "Aids" behandelt werden. Diese Patienten sind überwiegend etwas älter, was die Sache noch brisanter macht.
Ein weiteres Problemfeld: Wollen die Gesundheitsämter oder lokalen Initiativen im märkischen Land HIV-Schnelltest anbieten, muss für sie ein Arzt zeitnah und örtlich ansprechbar sein. Warum? Zeigt ein Schnelltest eine reaktives Ergebnis, braucht es einen Arzt, der das Testergebnis per Blutprobe bestätigt oder widerlegt. Nur: Wie soll das gehen ohne Ärzte bzw. ohne Ärzte, die im Bereich HIV/Aids geschult sind? Das ist kein Zustand!
So stellt sich die Frage an das märkische Gesundheitsministerium: Brandenburg, wo sind die Ärzte?!
Diese Fachtagung gab darauf keine Antworten. Dafür offenbarten die diesjährigen Gastredner - die Initiatoren der Aktion "Positive Stimmen" - dass Positive generell ungewöhnlich häufig bei Ärzten Diskriminierungs- und Stigmatisierungserfahrungen machen. Vor allem Zahnärzte neigen gegenüber Positiven zu irrationaler und unprofessioneller Ablehnung. Positivenfreundliche Zahnärzte in Brandenburg - noch ein Problem.
mit freundlicher Genehmigung